Ecce Homo 2023-06
Vielleicht habe ich diesen Titel unserer Ausstellung anlässlich der Langen Nacht der Kirchen (2.6.23) in der Factory schlecht gewählt. Etwas gar oft musste ich den Begriff erklären. Wie spricht man das eigentlich aus? Google Translate sagt «Etsche Omo» und verwechselt wohl Latein mit Italienisch. Korrekter wäre entweder «Egge Homo» oder «Ekze homo». Aber so genau weiss das ja wohl niemand, denn die Römer leben schon lange nicht mehr…
Dieser kurze Satz stammt aus der Bibel und bedeutet: «Siehe, der Mensch!» Pilatus bezeichnet damit den angeklagten Jesus, mit Dornenkrone und Purpurmantel bekleidet, bevor er ihn feige dem wütenden Mob zur Kreuzigung überlässt (nachzulesen in Johannes 19, 4-6). Zig Mal wurde seither diese Szene gemalt, inszeniert und vertont. Auch die Bezeichnung selbst wurde gerne mal wiederverwertet.
So wird im Kontext der Homosexualität gerne und provozierend mit dem Begriff «Ecce Homo» gespielt. Einmal sagte Papst Johannes Paul II sogar wegen einer gleichnamigen Ausstellung seinen Besuch in Schweden ab.
Napoleon soll mit diesen Worten Goethe gegrüsst haben, den er für seine überragende geniale Schöpfungskraft bewunderte.
Nicht minder selbstbewusst und ganz sicher nicht unbewusst verwendete Friedrich Nietzsche diese Christusbezeichnung. Nachdem er bereits ein Gedicht mit «Ecce Homo» überschrieb, betitelte er damit ganz unverfroren seine Autobiografie. Die Fachwelt ist sich nicht einig, ob der «Gott-ist-tot»-Philosoph zum Zeitpunkt der Verfassung bereits geisteskrank war und unter Grössenwahn litt. Das Werk blieb unvollendet.
Als letztes erlangte vor einem Jahr ein bis dahin unbekanntes Ecce-Homo-Fresko in Spanien weltweite Berühmtheit, als einer lokalen Rentnerin ein gutgemeiner Restaurationsversuch gründlich misslang. Zeitungen sprachen vom Affen-Jesus, und ein lokaler Journalist titelte: «Das verzeiht nicht einmal Jesus.»
Aber irgendwie habe ich den festen Eindruck, dass Jesus sogar eine gewisse Freude hat am Rettungsversuch dieser Hobby-Malerin und weniger übrig hat für Nietzsches Gedicht. Und möglicherweise ist dessen Autobiografie die weniger treffende Beschreibung «des Menschen» ist als dieses entstellte Jesus-Bild.
Aber wer bin ich schon, um das zu beurteilen? Ich bin ja auch nur ein Mensch …
Mit lieben Grüssen
Andi Fuhrer