Von Gescheiten und Eseln (2024-02)
Ich habe soeben auf SRF.ch einen Artikel überflogen zum Thema «Zoff mit dem Nachbarn». Anstatt miteinander zu reden, bekriegt man / frau sich via Rechtsanwalt bis vor Bundesgericht wegen Hundegebell und abgestellten Wasserleitungen. Über 5000 Fälle landen jährlich in der Schweiz bei der Rechtsschutzversicherung. Abgesehen von der Tragik zeigt sich für mich da einmal mehr, wie unser ach so wichtiges menschliches Ego aus der Distanz betrachtet doch oft recht hilflos und lächerlich daherkommt.
Viele unserer Konflikte mögen auf echten Problemen basieren. Am Ende trennt man sich wegen herumliegenden Socken und anderen Marotten, die uns zur Weissglut treiben.
Wie anders klingt die «Jahreslosung*» für 2024: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe» (1. Korinther 16:14).
Gegen diesen wunderschönen Gedanken aus dem Neuen Testament kann man kaum etwas einwenden. Obwohl er, wie so viele andere biblische Prinzipien, grundlegend unserer menschlichen Natur und Verhaltensweise widerspricht. Trotzdem sind wir alle damit einverstanden, dass es «im Prinzip» so doch viel besser wäre. Um der Sache noch etwas mehr Konturen zu verleihen, möchte ich gleich noch einen weiteren Bibelvers anhängen. Diesmal aus dem Alten Testament (Sprüche 10:12): «Hass weckt Streit, Liebe deckt alle Vergehen zu.»
Moment mal, das klingt jetzt aber auf eine seltsame Art etwas zu menschlich: Was unschön ist, kehrt man unter den Teppich. Oder sollen wir etwa das Böse als gut durchgehen lassen? Beides ist falsch. Unrecht bleibt Unrecht, und lösen sollen wir Konflikte auch. Aber anstatt meinen Nächsten auf jeden Fehler zu behaften und eine akribische Karmabuchhaltung zu führen, gibt es auch eine göttliche Art, einen Fünfer gerade sein zu lassen, ohne dass Unrecht zu Recht wird. Paulus sagt es so: «Die Liebe erträgt alles». Das heisst auch: Nein, es ist nicht leicht. Ja, es gibt etwas zu ertragen. Wir sollen den Fehler nicht OK finden, aber ihn aushalten können und dem anderen in seinem menschlichen Nicht-Perfekt-Sein Raum geben, damit er trotz seinen Mängeln existieren darf. Wenn Jesus uns Vergebung anbietet, findet er unsere Vergehen damit nicht gut. Aber er deckt sie zu, damit sie mich und unsere Beziehung nicht mehr belasten, sondern der Weg frei wird für Versöhnung. Was Jesus im Grossen getan hat, sollen wir wenigsten im Kleinen auch versuchen.
Oder um es etwas weniger bibelfromm auszudrücken:
«Der Gschider git nah, dr Esel blibt stah».
Mit lieben Grüssen
Andi Fuhrer
*) Die Jahreslosung ist ein Bibelvers, der für jedes Jahr von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ausgesucht wird. Sie gilt vielen Christen vor allem deutscher Sprache als Leitvers für das Jahr.