Die Auferstehung eines Holzbeins  (2024-04)

Deutsch

Wer die Factory schon einmal besuchte, hat wohl unsere Wunder-Bar bemerkt: Wenn man an der Kurbel dreht, beginnt es zu rasseln und quietschen. Ein Dutzend verschiedener Klangmechanismen erzeugen allerlei Töne, welche zusammen einen Gsus-Akkord ergeben. Schliesslich sind wir eine Gsus-zentrierte Kirche (bitte auf Englisch aussprechen…). Wer die Factory regelmässig besucht, hat auch festgestellt, dass die Wunderbar seit einigen Monaten stillstand und die Kurbel abmontiert war. Ein kleines Zahnrad hielt der Belastung auf die Dauer nicht stand und konnte wegen seiner Abnutzung seine Funktion nicht mehr erfüllen. Der ganze rechte Teil der Maschine hing davon ab und bewegte sich entsprechend auch nicht mehr. Schon lange überlegte ich mir, wie ich dieses Ritzel ersetzen konnte. Es ist womöglich das Teil des ganzen Mechanismus, an den die höchsten Anforderungen gestellt sind, was Belastbarkeit und Genauigkeit betrifft. Am besten wäre es gewesen, dieses Zahnrad aus Metall zu fräsen. Aber dies übersteigt meine Fähigkeiten. 

Am kommenden Oster-Sonntag findet in der Factory ein Kunstbrunch statt. Für diesen Anlass sollte die Wunderbar eigentlich wieder laufen. 

Was tun? 

Obwohl diesbezüglich immer noch etwas ratlos, nahm ich mir letzte Woche endlich einmal Zeit für eine Revision der Maschine. Plötzlich bemerkte ich in der Werkstatt ein altes Tischbein, welches einer kürzlichen Entsorgungsaktion entging. Ich vermass das gedrechselte Stück Hartholz und stellte fest, dass es exakt die richtigen Dimensionen aufwies. Nach etwas Grübeln ging ich in die Eisenwarenhandlung, kaufte einen Meter Stahlstange und 40 passende Schrauben, welche dann dem verwaisten Holzbein eingepflanzt wurden. 

Das Schwierigste war, das Ersatzzahnrad samt der neuen Halterung im schwer zugänglichen Innern des Mechanismus zu montieren, ohne die halbe Maschine auseinandernehmen zu müssen. Aber letztlich fand alles seinen Platz, und nach ein paar wuchtigen Hammerschlägen sass auch die Kurbel wieder an ihrem alten Platz. 

Nach Langem begann die Wunderbar auf‘s Neue zu rasseln und quietschen. Alles funktionierte wieder! Nur stimmen muss ich sie noch. 

Dieses Erlebnis erinnerte mich an einen Vers aus der Bibel. Gott vergleicht sein Volk Israel mit einer verdorrten Rebe nach der Weinernte, die eigentlich hätte verbrannt werden sollen (Jesaja 65, 8): «Verbrennt sie nicht! Da ist noch etwas Gutes drin!» 

Wenn Du Dich das nächste Mal unfähig, überflüssig oder nutzlos findest, erinnere Dich daran: Anstatt in der Verbrennung zu landen, fand dieses alte, nutzlose Holzbein eine neue Bestimmung. Und dies erst noch an einer Schlüsselposition mit höchsten Ansprüchen. 

Mit lieben Grüssen

Andi Fuhrer